Mit dem Herzen beten

Paul verbrachte die meiste Zeit im Freien. Er hatte eine große Vorliebe für die Kirche „St. Jakob“ in Paris, an deren Eingangstor er um Almosen bettelte. Die Weinflasche war ihm eine treue Begleiterin und die Leberzirrhose und andere Krankheiten fraßen an ihm. Seine Gesichtsfarbe ließ nichts Gutes ahnen und die Leute dieses Wohnviertels warteten nur noch darauf, dass er von heute auf morgen nicht mehr da wäre, ohne sich jedoch besonders für ihn zu interessieren. Doch da war eine gute Seele in der Gemeinde, Frau N. Sie war sehr traurig darüber, ihn so schrecklich allein zu sehen und sprach daher öfter mit ihm. Sie hatte bemerkt, dass Paul am Morgen seinen Stammplatz am Eingangsportal eine Zeitlang verließ und in die Kirche ging. Dort setzte er sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe, direkt vor dem Tabernakel. Einfach so... scheinbar, ohne etwas zu tun.

Eines Tages fragte ihn Frau N.: "Ich habe gesehen, dass du oft in die Kirche gehst. Was machst du denn, wenn du eine Stunde dort sitzt, einfach so, ohne etwas zu tun? Du hast weder einen Rosenkranz noch ein Gebetbuch, und manchmal nickst du nur ein bisschen ein. Was machst du da? Betest du?"

"Wie soll ich denn beten können! Seit der Zeit, als ich noch klein war und in den Religionsunterricht ging, habe ich alle Gebete vergessen. Ich kann keins mehr! Was ich da mache? Das ist ganz einfach: Ich gehe zum Tabernakel, dort wo Jesus ganz allein in seinem Häuschen wohnt, und sage zu ihm: "Jesus, ich bin's, Paul! Ich komme Dich besuchen!" und dann bleibe ich noch ein bisschen, damit halt jemand da ist".

Frau N. bringt keinen Ton heraus. Sie vergisst nicht, was sie gerade gehört hat. Die Tage vergehen, einer gleicht dem anderen. Aber, was kommen musste, kam: Eines Tages war Paul vom Eingangsportal verschwunden. War er krank? Vielleicht gestorben?

Sie erkundigt sich und findet seine Spur im Krankenhaus wieder. Sie geht ihn besuchen. Dem armen Paul geht es sehr schlecht, er hängt an vielen Schläuchen und hat diese für Sterbende typische graue Gesichtsfarbe. Die ärztliche Prognose könnte nicht schlechter sein. Am nächsten Tage kommt Frau N. wieder und ist schon darauf gefasst, die traurige Nachricht zu bekommen. Aber nein! Paul sitzt ganz aufrecht in seinem Bett, ist frisch rasiert, hat einen lebendigen Blick und sieht völlig verwandelt aus! Ein Ausdruck unbeschreiblichen Glücks strahlt aus seinem leuchtenden Gesicht. Madame N. reibt sich die Augen. Doch, er ist es wirklich!

"Paul, das ist unglaublich, du bist ja auferstanden! Du bist nicht mehr derselbe, was ist nur mit dir passiert?"

"Naja, es war heute Morgen, da ging es mir gar nicht gut; dann habe ich plötzlich jemand hier am Fußende meines Bettes stehen sehen. Er war unbeschreiblich schön. Das kannst du dir gar nicht vorstellen! Er lächelte mich an und sagte: "Paul! Ich bin's, Jesus! Ich komme dich besuchen!"

 

Verfasser unbekannt